Ich befinde mich in meinem vierten Jahr als Mutter. Das ist aus Sicht vieler sicherlich ein Wimpernschlag. Andere würden mich hingegen eventuell schon als alten Hasen bezeichnen. Fakt ist: Ich steck tief drin in der Nummer – und ich werde da auch nie wieder raus kommen. Zeit also, ein paar Dingen ins Auge zu blicken, die ich vor der Geburt meiner ersten Tochter so nicht habe kommen sehen – und die ich in der Tat gern schon im Vorfeld gewusst hätte.
#1 Absolut jede Mutter hat etwas zum Thema Stillen zu sagen – oft nichts Gutes
Es ist erstaunlich, wie viel „alternatives Wissen“ ich in den letzten dreieinhalb Jahren zum Thema Stillen gehört habe. Absolut jede einzelne Mutter, mit der ich mich unterhalten habe, hatte etwas zu dieser Ernährungsform zu sagen – und erstaunlich oft waren diese Aussagen eher negativ konnotiert.
Ich habe meine beiden Töchter je rund sechs Monate voll gestillt. Für viele in meinem Umfeld war bereits dieser (nicht mal sonderlich erstaunliche) Umstand Anlass genug, eine leichte Panikattacke wegzuatmen.
„Wird die Kleine denn überhaupt noch satt?“
„Und woher weißt du jetzt, wie viel sie getrunken hat?“
„Du legst sie aber oft an.“
Stillschweigend habe ich wieder und wieder ein Feld auf meiner Bullshitbingo-Karte abgekreuzt, wenn mir Aussagen wie diese entgegengebracht wurden und gleichzeitig versucht, etwas laienhafte Aufklärungsarbeit übers Stillen zu betreiben. In besonders schweren Fällen ging ich dazu über, die unterschwellige Kritik und offenkundige Zweifel, die mir entgegengebracht wurden, zu ignorieren.
Was jedoch blieb, war der schale Beigeschmack, dass das Stillen in meinem Umfeld einen tendenziell schlechten Ruf hat und die Gemüter erhitzt. Ich kann nur mutmaßen, dass sich dieses „Phänomen“ in einer Mischung aus Desinformation und DDR-Ideologie begründet.
#2 Nicht alles aus meiner eigenen Kindheit kann ich 1:1 an meine Kinder weitergeben
Bevor ich Mutter wurde, blickte ich auf meine Kindheit durch eine sehr romantisierende Brille zurück. Tatsächlich bin ich behütet und geliebt aufgewachsen. Doch nun, da ich Mutter bin, muss ich feststellen, dass ich nicht alles, was ich als Kind super fand oder einfach hinnahm, so an meine Kinder weitergeben kann.
Seien es starre Geschlechterrollen, Erziehungsmethoden oder die Reproduktion rassistischer Stereotype in Büchern, Serien und Filmen – woke Elternschaft ist ein hartes Pflaster, das kann ich euch sagen!
#3 Die Flut überlassener Babysachen ist schier erschlagend
„Ich hab da noch ein paar Babysachen rumfliegen, willst du vielleicht…“ Ich denke, jede Mutter kennt diese Aussage, die oft von Freundinnen, weiblichen Verwandten oder Kolleginnen kommt und in der Regel erst einmal nett gemeint ist. Auch ich habe mich anfangs über jede Kiste, jedes „Komm doch mal vorbei und schau‘s dir an.“ gefreut und die Angebote dankend angenommen.
Doch ziemlich schnell machte sich ein unterschwelliges Gefühl in mir breit. Das Gefühl, eher als Wertstoffhof zu fungieren denn als frisch gebackene Mama, der man etwas Gutes tun will.
Vor allem Sachen, die ich als Leihgabe erhielt (also nach Gebrauch wieder zurückgeben sollte), lösten ab einem gewissen Punkt nur noch Stress in mir aus: Hatte ich diesen Body von Sandra oder Lisa? Wo ist eigentlich die Tüte mit den Sachen von Melanie gelandet? Fuck, jetzt hat dieser Pullover auch noch einen Möhrenfleck, der nicht raus geht.
Ich weiß, dass all die Sachen, die wir für unsere Mädels (geliehen) bekommen haben, unterstützend gemeint waren. Doch rückblickend waren sie eher eine Belastung als eine Hilfe.
Mein Learning aus dieser Erkenntnis ist, dass ich meinerseits Neu-Mamis äußerst bedacht und nur noch nach ausführlicher Rücksprache Sachen anbiete.
#4 Elternschaft ist politisch
Etwa ein halbes Jahr nach Beginn meiner Mutterschaft brach eine weltweite Pandemie aus. Unser zweites Kind wurde in ebendieser gezeugt, als es auf die Welt kommen wollte, stand ich 10 Minuten mit aus mir tropfendem Fruchtwasser in der Notaufnahme, weil ich noch auf das Ergebnis eines Schnelltests warten musste. Elternschaft ist für uns quasi von Anfang an mit Corona verbunden – ein Umstand, der vieles beeinflusst hat.
Kita-Schließung, ausfallende Kinderfeste, „Mama, warum trägst du sowas im Gesicht?“-Gespräche… Die Pandemie hat unseren Alltag, unser Zusammenleben als Familie maßgeblich geprägt – und mir mehr als deutlich vor Augen geführt, wie politisch Elternschaft ist.
Gerade durch meine Insta-Bubble bekomme ich immer wieder neue Impulse, mit denen ich mich aus der Position einer Mutter heraus auseinandersetzen möchte oder schlichtweg muss. Klimakrise, Rassismus (im Kinderzimmer), Betreuungsnotstand und ein marodes Bildungssystem sind nur ein paar Themen von vielen.
Elternschaft ist politisch – ob wir das wollen oder nicht. Es liegt lediglich bei uns, ob wir uns aktiv damit auseinandersetzen wollen oder nicht.
#5 „DEN“ richtigen Weg gibt es nicht
Bevor ich Mutter wurde, hatte ich relativ konkrete Vorstellungen davon, wie ich als Mutter sein würde. Ich schätze, damit bin ich nicht allein.
Kein Fernsehen vor der Einschulung, täglich frisches, gesundes Essen, niemals ausrasten, stets in mir ruhen und diese Ruhe natürlich auch automatisch auf meine Kinder übertragen. Ach und nicht zu vergessen: Immer schön die anderen Eltern be- und verurteilen für ihre offenkundige Unfähigkeit, ein Kind großzuziehen.
Aus heutiger Sicht denk ich mir: „Ach, halt‘s Maul, du unwissende Klugscheißerin!“
Natürlich achte ich auf den Medienkonsum meiner Kinder, natürlich gibt‘s ausgewogenes Essen, natürlich bemühe ich mich um eine gewaltfreie Kommunikation – doch es ist eben auch nicht immer so einfach wie man sich das als kinderloser Mensch ausmalt.
Und noch viel wichtiger: Es gibt nicht „den einen richtigen Weg“. Selbst wir, also der Freund und ich, loten an jeder Kreuzung neu aus, ob wir nach links oder rechts gehen – und schon mehr als einmal haben wir unsere Entscheidung hinterher bereut.
Bin ich deswegen eine schlechte Mutter? Auf keinen Fall. Könnte ich manches hin und wieder besser machen? Natürlich. Darf ich andere Eltern belächeln, kritisieren, verurteilen, die einen anderen Weg wählen als wir? Hell, no! (Vorausgesetzt, es liegt keine Kindeswohlgefährdung vor!)
Mutter zu werden ist krass – vor allem, weil wir in etwas hineingestoßen werden, auf das uns kein Elternratgeber, kein Mommy-Podcast und kein „guter Ratschlag“ von Freundin, Oma oder Supermarkt-Kassiererin vorbereiten kann. Auch dieser Text ist keinesfalls als „Allheilmittel“ zu verstehen. Doch eventuell hilft er dir zumindest ansatzweise, dich etwas bereiter für das Abenteuer Elternschaft zu fühlen.
Beitragsbild: Goldine Fotografie | Christin Schreiter