#bloggersindbunt ♡ Brief an meine Tochter

Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade „Blogger sind bunt“, die das Netzwerk „Thüringen bloggt“ ins Leben gerufen hat. Dabei geht es um die zentrale Frage „In welchem Thüringen wollen wir eigentlich leben?“ und die unterschiedlichsten Antworten darauf.

Wenn du mehr Infos haben und/oder dich ebenfalls beteiligen möchtest, dann klick doch mal hier.


Meine geliebte Tochter,

Ein halbes Jahr bist du nun schon bei uns und jeden Tag bereicherst du unser Leben ein bisschen mehr.

Wenn ich dich anschaue – manchmal wenn du friedlich schläfst und dabei deinen Mund so herrlich verziehst und manchmal wenn du putzmunter bist und mich anstrahlst – befürchte ich, dass mir das Herz zerspringt.

Du hast mir beigebracht, was bedingungslose Liebe ist.

Ein sehr schöner Gedanke, doch zugleich auch einer, der mir Sorgen bereitet. Denn wenn ich mir vor Augen führe, in was für eine Welt ich dich geboren habe, fühle ich mich so manches Mal egoistisch und verantwortungslos. Es bereitet mir Angst, an deine, an unsere Zukunft zu denken und an das, was um uns herum gerade alles passiert.

Weltschmerz oder: Der ganz normale Wahnsinn.

Es sind so viele Dinge, so viele Ereignisse und Entwicklungen, die mir gerade Kopfzerbrechen bereiten. „Weltschmerz“ nennen es die einen, „der ganz normale Wahnsinn“ die anderen. Jeden Tag erlebe ich Situationen – online wie offline – die mich ratlos und manchmal auch fassungslos zurücklassen.

Eine junge Schwedin wird öffentlich dafür gehasst, dass sie uns alle betreffende, globale Probleme benennt und Politiker zum Handeln auffordert. Eine rechts-populistische Partei feiert ihren furchtbaren Aufstieg und macht Fremdenhass wieder salonfähig in Deutschland. Machtvolle Politiker üben sich im aggressiven Kräftemessen und schüren so die Angst vor einem dritten Weltkrieg.

Und als wären diese „großen Brocken“ nicht schon schlimm genug, kommen auch noch so vermeintliche Kleinigkeiten dazu wie die Diskussion darüber, ob ich dich als Mädchen in einem hellblauen Overall kleiden darf. (Auflösung: Ja, denn #farbensindfüralleda)

Wir müssen nicht immer einer Meinung sein.

Was dieser Welt gut täte, wäre ein „kleines bisschen“ mehr Offenheit – im Kleinen wie im Großen. Dabei geht es mir keinesfalls darum, dass alle Menschen der gleichen (oder besser gesagt: meiner) Meinung sein sollen. Ganz im Gegenteil, versteh mich nicht falsch! Diskurs ist wichtig und gut. Denn Diskurs sorgt für Weiterentwicklung, für Perspektivenwechsel und für mehr Verständnis für dein Gegenüber.

Doch wo, das frage ich mich aktuell sehr oft, endet die öffentliche Debatte und wo beginnt die öffentlich verbalisierte Abneigung auf der Basis von Angst, Unwissenheit und pauschalisierter Ablehnung, die nicht selten sogar im Hass gipfelt?

Meine liebe Tochter, der Ton in unserer Gesellschaft ist rau. Er ist in den letzten Jahren immer rauer geworden und wird wohl auch in den kommenden nicht netter. Mir macht das Sorgen. Denn da, wo der Respekt einem anderen gegenüber aufhört und sich wütende Menschen hinter anonymen Social Media-Profilen verstecken, beginnt eine Verrohung unserer Streitkultur, die niemand mehr unter Kontrolle hat. Die Streitenden am allerwenigsten.

Über Menschlichkeit und andere Werte.

Ich wünsche mir für dich, dass du lernst, mit diesem Ton umzugehen, ihn aber niemals als „normal“ akzeptierst. Denn das ist er ganz sicher nicht und das soll er auch nie sein.

Ich kann dich nicht vor allen Übeln dieser Welt beschützen, mein Engel. Ich möchte es so gern, doch es übersteigt meine Möglichkeiten.

Was ich jedoch kann, ist dir ein gutes Vorbild sein und dir Werte mit auf den Weg geben, die ich für wichtig und erstrebenswert erachte.

Ich möchte dir beibringen, offen und tolerant zu sein – selbst dann, wenn dich das Fremde verunsichert.

Ich möchte dir Empathie lehren und zeigen, das Verständnis und Respekt die Basis allen Zwischenmenschlichen sind.

Ich möchte in dir die Neugier wecken, Neues zu entdecken und dadurch die Scheu vor Unbekanntem zu verlieren.

Und ich möchte dich zu einem Menschen erziehen, der sich selbst genauso sehr liebt und achtet wie andere Menschen.

Worauf es dabei letztlich immer ankommt? Auf die Menschlichkeit.

Auch ich habe manchmal Angst vor Veränderungen und dem Unbekannten, mein Schatz. Das ist normal und tief in uns verwurzelt. Es ist menschlich. Doch mindestens genauso menschlich ist es, einander mit Respekt zu begegnen. Die Würde des Menschen ist unantastbar -Vergiss das bitte nie und werde nie müde, deine Mitmenschen darauf hinzuweisen.

Meine geliebte Tochter, ich hoffe so sehr, dass sich unsere Gesellschaft in Zukunft wieder mehr darauf besinnt – und somit eine Welt formt, in der du dich – und mit dir alle anderen Menschen – frei entfalten und auf Augenhöhe diskutieren kannst.

Foto: Goldine Fotografie

Kommentare

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  3. Julia

    Liebe Jessi,
    vielen Dank für deinen liebevollen und ehrlichen Artikel. Ich bin voll bei dir und finde, du hast es auf den Punkt getroffen. Es ist eine schöne Idee, deine Gedanken als Brief an deine Tochter zu verpacken 🙂

    1. Autor
      des Beitrages
      Jessi

      Hallo Julia,
      danke für dein Feedback. Ich habe recht lang überlegt, ob ich es machen soll, weil es doch wirklich sehr persönlich ist (für mich, für andere vllt. nicht unbedingt). Das kannst du sicher nachempfinden.
      Aber als der Beitrag online war und ich erste Rückmeldungen erhalten habe, wusste ich, dass es richtig war.

      Liebe Grüße,
      Jessi

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