Drei Anekdoten und eine Lüge

Als ich vor kurzem auf Instagram fragte, welche Inhalte ihr euch auf meinem Blog wünscht, schrieb mein lieber Follower @jayartphoto_official „Irgendwas Lustiges gegen den Winterblues“. Ich fand die Idee sofort super – auch und vor allen Dingen in Anbetracht der aktuellen Gesamtsituation – fragte mich aber schnell, womit ich euch eigentlich zum Schmunzeln bringen könnte. Denn, um ehrlich zu sein, so richtig „Gaudi“ herrscht hier gerade ganz und gar nicht.

Nach etwas Grübelei kam mir dann schließlich eine Idee: Ein kleines Spiel, das hoffentlich so kurzweilig und „erfrischend“ ist, wie ich es mir vorstelle. Ich nenne es „Drei Anekdoten und eine Lüge“. 

Die Spielregeln sind denkbar einfach: Ich erzähle dir nun vier Geschichten. Drei davon sind mir wirklich 1:1 so passiert, eine ist (zumindest in Teilen) meiner Phantasie entsprungen. Wenn du Lust hast, mitzuraten, kannst du deinen Tipp gern unter diesem Insta-Posting abgeben:

#1 Wie ich plötzlich zur zweifachen Mäusemami wurde

Ich glaube, es war irgendwann um das Jahr 2010, als ich mit meinem damaligen Freund aus Langeweile durch ein Zoofachgeschäft schlenderte. Ich sah mir die possierlichen Tierchen mit Fell an und blieb irgendwie an den Mäusen hängen. Mir war klar: Diese Tiere – zum „stolzen“ Preis von 1,50 Euro erhältlich – sollten keine Kuschelfreunde für kleine Mädchen, sondern Nahrung für hungrige Schlangen sein.

Mich packte das Mitleid und kurzerhand kaufte ich eines der winzigen Nagetiere. Mein Gedanke: Ich setze die Maus auf dem Feld aus und rette damit ihr Leben [hier eine kurze Pause für deine Reaktion].

Zurück im Heimatdorf, irgendwo am Rande eines Feldes mit einer Pappschachtel in der Hand stehend, kamen mit plötzlich Zweifel. War mein Plan wirklich so klug? Oder gab es da nicht doch einen Haken, den ich bisher gekonnt übersehen, ach was sage ich – ignoriert hatte?

Tief in mir drin wusste ich natürlich: Setze ich die Maus auf dem Feld aus, werfe ich sie zwar nicht einer Schlange, dafür aber Vögeln, Katzen und Füchsen zum Fraß vor. Zwar ein anderes, aber keinesfalls besseres Schicksal für meinen kleinen Freund. So ein bisschen wie die Entscheidung zwischen Pest und Cholera.

Kurzerhand griff ich zum Handy und rief die erste Person an, die mir in den Sinn kam: Meine beste Freundin. Innerhalb weniger Sekunden schilderte ich ihr meine aktuelle Situation und hörte schließlich die erlösenden Worte: „Kommt erst mal vorbei.“ Puh, genau darauf hatte ich gehofft.

Bevor wir das taten, machte ich mich im elterlichen Haus jedoch erst noch auf die Suche nach einem „geeigneten“ Unterschlupf für das Mäuschen. Meine Fundstücke: Ein Kühlschrank-Obstfach und eine leere Zigarettenschachtel. Naja, erst einmal besser als nichts und besser als die Papp-Box, die immerhin im Preis von 1,50 Euro inbegriffen war.

Angekommen in der Wohnung meiner Freundin nahm der Wahnsinn dann erst richtig seinen Lauf. Ich mache es kurz: Im Internet erfuhren wir, dass Mäuse soziale Lebewesen und nicht gern allein sind. Also ging es wieder in den Zoo-Laden, noch mal 1,50 Euro auf den Tresen gelegt, um Lotti (so der Name „meiner“ Maus) einen Kameraden zu bescheren: Putzi.

Von einem Bekannten bekamen wir für nen Fünfer einen Käfig mit allem Pipapo (so eine F6-Schachtel ist auf Dauer ja auch keine Lösung…) und für ein bisschen Futter und ein paar „Gadgets“ reichte unser Budget auch noch aus.

Von da an waren wir stolze Mäuse-Besitzerinnen – zumindest für ein paar Wochen. Als das Semester wieder losging und ich zurück in Magdeburg war, erreichte mich die traurige Nachricht vom plötzlichen Tod der Mäuse. Woran sie verstorben sind, ist bis heute nicht geklärt. Mögen Putzi und Lotti in Frieden ruhen. 

#2 Wie meine Freundin beim Coldplay-Konzert ZUFÄLLIG hinter mir saß

Wir schreiben das Jahr 2017. Der Freund, ein Kumpel und ich kaufen uns Karten für Coldplay in Leipzig und ich freue mich riesig auf das Konzert. Ein paar Wochen später erreicht mich die Nachricht einer guten Freundin, mit mehrere Jahre das beste WG-Leben gelebt habe: „Hey Jessi, ich will gern zum Coldplay-Konzert in Leipzig, kommst du mit?“ 

Ich will mir augenblicklich in den Arsch beißen. NATÜRLICH will sie das. Sie ist der größte Coldplay-Fan, den ich kenne. Warum bin ich nicht auf die Idee gekommen, sie zu fragen, bevor wir unsere Karten gekauft haben?!

Sie so: „Ist doch nicht so wild, ich kauf mir ein Ticket und dann gehen wir gemeinsam hin.“ Ich so: „Hmm, theoretisch ja, praktisch nein, weil wir Sitzplatz-Karten haben. Könnten uns also zwar vorher und nachher treffen, aber das Konzert können wir nicht gemeinsam erleben.“ Düdümm. Schade Made…

Wieder ein paar Tage später: „Jessiiiii, meine Karte ist da!!“, begleitet von einem Foto des Konzert-Tickets. Ich schaue es an und habe sofort das Gefühl, etwas Bekanntes zu betrachten. Ich hole meine Karte und vergleiche: Gleicher Block, gleicher Sitzplatz, andere Reihe – allerdings nur eine über meiner!

Das Universum, der alte Schlingel, hatte es tatsächlich fertig gebracht, meiner Freundin einen Sitzplatz direkt über meinem zu geben – und das in der fucking Red Bull-Arena, in der bei Konzerten mehrere 10.000 Leute sitzen können! 

Ich weiß nicht, wie oft ich unsere Tickets miteinander verglichen habe, bis mein Gehirn realisiert hat: Das ist kein Witz, das passiert wirklich. Endgültig geglaubt habe ich es erst, als das Konzert begann und wir gemeinsam die Coldplay-Lieder mitgröhlen konnten.

#3 Wie ich lernte, auf Bäume zu klettern, weil mich ein Wildschwein verfolgte

Es gibt so einiges, wovor ich Angst habe. Die meisten meiner Ängste sind völlig irrational und unbegründet – beispielsweise die vor Fröschen, Außerirdischen und einem Einbrecher in meiner Wohnung. Andere – wie zum Beispiel die vor Wildschweinen – sind hingegen ziemlich real und aus meiner Sicht absolut nachvollziehbar. Ich möchte dir auch gern erzählen, warum.

Ich war etwa neun oder zehn Jahre alt und tollte wie so oft in dieser Zeit über die Wiesen und durch die Wälder rund um mein Heimatdorf. Bei mir war mein bester Freund und gemeinsam spielten wir irgendetwas, das Kinder in diesem Alter nun mal spielen. Wir wussten genau, wie weit wir von zuhause weg sein durften und wann wie wieder da sein sollten. Solche Regeln missachteten wir nie – denn es hätte sehr wahrscheinlich bedeutet, dass das das Ende unserer Abenteuer ist. Doch dass auch innerhalb der Grenzen so einiges passieren kann, wurde uns an diesem einen Tag ganz besonders deutlich.

Es war in dieser „Nicht-mehr-Sommer-aber-auch-noch-nicht-Herbst“-Zeit, als die Mähdrescher die ersten Felder „ab machten“ und die Luft voller Staub und Insekten hing. Wir schenkten dem Tun der Landwirte nur wenig Beachtung, immerhin waren wir viel zu sehr in unser Spiel vertieft und immerhin hatten wir das Treiben schon unzählige Male während unserer Kindheit beobachtet. Es war nichts Besonderes für uns.

Viel spannender (und beängstigender) wurde es, als uns plötzlich bewusst wurde, dass wir nicht mehr allein auf dem Feldweg sind. Wenn ein Wildschwein in deiner Nähe ist, dann riechst du es vermutlich viel eher als dass du es siehst. Diese Viecher riechen wirklich s t r e n g – das kann ich dir sagen.
Doch als wäre der Geruch nicht schon überfordernd genug, stand das borstige Tier auch noch vor uns – etwa 20 Meter entfernt, wenn mich meine kindliche Erinnerung nicht trügt. Meinem Freund und mir war sofort klar, was passiert war: Das Wildschwein chillte gerade im Feld und musste plötzlich vor den Mähdreschern fliehen. Dementsprechend panisch und aufgeregt wirkte es bereits – das blieb auch uns Kindern nicht verborgen.

Was du in so einer Situation tust? Nun – logisch denken nicht unbedingt. Da wir nicht wussten, ob das Schwein eine echte Bedrohung für uns sein würde oder nicht – also ob es uns verfolgt oder vielleicht einfach seelenruhig stehen bleibt und irgendwann in die andere Richtung davon trottet – entschieden wir, unserem Instinkt zu vertrauen und die Beine in die Hand zu nehmen.

Ich weiß noch, wie ich damals dachte: „Jetzt gilt es, Jessi. Jetzt musst du so schnell rennen wie noch nie in deinem Leben.“ und als nächstes überlegte, was zu tun sei, wenn uns das Wildschwein verfolgt. Auch wenn ich mich in diesem Augenblick schnell wie ein Gepard fühlte, wusste ich doch genau, dass ich eher so Typ Igel war (und bin). Noch dazu hatte ich keine Ahnung, wie schnell Wildschweine sein können, wenn sie das Gefühl haben, von einem Mähdrescher verfolgt zu werden. (In meiner Phantasie definitiv schneller als panisches Mädchen, die das Gefühl haben, von einem Wildschwein verfolgt zu werden.)

Als mir klar wurde, dass unsere Taktik zu viele Schwachstellen hatte, entschied ich, dass es an der Zeit für einen Strategiewechsel war. „Müssen. Auf. Baum. Klettern.“, keuchte ich meinem Sandkastenfreund atemlos hinterher (dieser war bestimmt schon gut zehn Meter vor mir, der alte Verräter). Dass ich mit neun, zehn Jahren zwar vieles konnte, aber leider nicht auf Bäume klettern, ignorierte ich in dieser Sekunde pflichtbewusst. Schon damals wusste ich: Der Mensch wächst an seinen Aufgaben – und so war es auch.

Der nächstbeste Baum, der auch nur ansatzweise als Fluchtoption in Frage kam, war meiner. Ich nahm all meinen Mut, das letzte bisschen Kondition und alles, was ich sonst noch aufbringen konnte, zusammen und hangelte mich irgendwie (ich weiß bis heute nicht wie) hoch in die Äste. Erst als ich gut anderthalb Meter über dem Boden hing, traute ich mich endlich, einen Blick in Richtung Wildschwein zu werfen.

Meine Horrorvorstellung, es würde schon direkt unter mir stehen und blutrünstig nach meinem Turnschuh schnappen, bewahrheitete sich nicht. Auch eine optische Rückverfolgung unserer Sprint-Strecke ergab: Kein Wildschwein.

Das doofe Vieh war einfach nirgendwo zu sehen! Es war verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt.

Aus heutiger Erwachsenensicht bin ich mir ziemlich sicher, dass es nicht nur vor den Mähdreschern, sondern auch vor uns geflohen ist und die andere Richtung eingeschlagen hat. Einen Schuss habe ich nicht gehört, also ist es dem Jäger vermutlich entkommen.

Auch wenn diese Geschichte das Prädikat „Ende gut, alles gut“ verdient, hinterlässt sie auch heute noch ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend. Bei jedem Waldspaziergang, bei jeder Fahrradfahrt zwischen Feldern ist da diese Sorge, dass plötzlich ein Wildschwein vor mir stehen könnte.

Ich bin mir nicht sicher, ob es mir heute wieder gelingen würde, auf einen Baum zu klettern.

#4 Wie mich der Freund in der Toskana 2x vor einem Skorpion rettete

Toskana im Herbst – eine Reise, die 2018 ganz sicher zu meinen absoluten Höhepunkten gehört hat. Von unserer kleinen Steinhütte mitten im Olivenhain aus besuchten wir Thermalquellen, uralte Städte und natürlich das Mittelmeer – und machten auch Bekanntschaft mit allerhand fragwürdigen Gästen.

Mit den Eidechsen, die an den Mauern unserer Hütte entlang flitzten und es sich mittags in der Sonne gemütlich machten, habe ich mich schnell arrangiert. Auch ihre Jagd nach Heuschrecken und anderen Krabbeltiere habe ich nach einer Weile akzeptiert. Doch als der Freund eines Tages in der Küche stehend „Ist der echt?!“ fragte, wusste ich: Das ist eine andere Hausnummer.

Ich trat dazu und traute meinen Augen kaum: In der Salatschüssel saß ein Skorpion! Etwa vier Zentimeter lang, bräunlich-schwarz und gleichermaßen faszinierend wie angsteinflößend.

Ich ging sofort auf Abstand und überließ meiner Reisebegleitung die „Entsorgung“ (natürlich ließen wir den Skorpion in einiger Entfernung frei und haben ihm nichts getan!). Puh, was für ein Erlebnis – haha, da werden wir sicherlich noch lang von erzählen…

Eines Abends dann – ich lag schon im Bett und war irgendwo zwischen wach und schlafend – schreckte ich wieder hoch, weil ich ein „klimperndes“ Geräusch hörte. Ich sammelte mich kurz und sah dann den Freund über mir im Bett stehend, in einer Hand ein Glas. „Nur eine Spinne“, beruhigte er mich schnell und während ich schon wieder in den Schlaf glitt, dachte ich noch „Igitt, die muss aber groß gewesen sein bei dem Geräusch.“

Zurück in Deutschland. Unser Flugzeug landet in Berlin und weil wir noch eine Menge Zeit haben, bis unser Zug nach Erfurt geht, fahren wir in die Innenstadt, um etwas zu essen. Bei herrlichstem Herbstwetter, einem kühlen Getränk und Käse-Pommes (ja, das weiß ich noch ganz genau!), eröffnet mir der Freund plötzlich: „Du Schatz, ich muss dir da noch etwas erzählen…“

Die nachfolgende Beichte ließ mich mit offenem Mund sitzen, der Appetit war mir schlagartig vergangen: Bei der vermeintlichen Spinne handelte es sich um einen weiteren Skorpion, der seelenruhig an der Wand DIREKT ÜBER MEINEM KOPF lang spazierte! Der Freund wusste natürlich sofort, was zu tun ist und dachte beim Holen des Glases nur: Hoffentlich wacht sie nicht auf, hoffentlich wacht sie nicht auf, hoffentlich…

Mittlerweile kann ich über diese Anekdote schmunzeln, doch hätte ich gewusst, dass es in der Toskana Skorpione gibt – ich hätte mir das mit der Hütte im Olivenhain definitiv zweimal überlegt.

Angekommen zuhause musste im Übrigen der Freund meinen kompletten Koffer ausräumen und alle Kleidungsstücke ausschütteln. Das Internet hatte mir nämlich verraten, dass südeuropäische Skorpione gern in Gepäckstücke krabbeln – erst recht im Herbst, wenn die Nächte doch etwas kühler werden und ein paar warme Sachen einfach zu verlockend sind…

Welche Geschichte ist eine Lüge?

Naaa… hast du eine Idee, bei welcher der drei Anekdoten ich ein wenig geflunkert habe? Dann schnell rüber zu Instagram und den dazugehörigen Beitrag kommentierten 🙂