Ich bin eine Kaiserin

Seitdem ich als Kind verstanden habe, wie das mit dem „Kinder machen“ funktioniert, denke ich nicht nur über diesen Prozess nach, sondern auch über den Gesamtkomplex inklusive Schwangerschaft und Geburt. Was von den meisten Menschen als das „Natürlichste der Welt“ angepriesen wird, war für mich lange Zeit das blanke Gegenteil. Während ich den Zeugungsakt an sich noch relativ unspektakulär finde, stellte ich mir eine Schwangerschaft als Jugendliche schon weitaus fragwürdiger vor. I mean: Da wächst ein MENSCH in einem MENSCHEN. Abgelöst wurde diese horrorfilmartige Vorstellung in meinem Hirn nur noch vom Grande Finale: Der Geburt. Ich denke, wir sind uns einig, wenn ich behaupte: Dieser Prozess verstößt schlichtweg gegen sämtliche Naturgesetze.

Ich weiß nicht, ob es an meinem grundlegenden Mindset liegt („Wie soll etwas so Großes bloß durch etwas so Kleines passen?!“) oder eben doch an Faktoren, auf die ich keinen Einfluss hatte: Ich, Mutter von zwei Kindern, habe diese nicht auf natürliche Weise auf die Welt gebracht. Stattdessen bin ich eine Kaiserin.

Auf Kriegsfuß mit dem Kaiserschnitt

Die Sectio caesario war für mich jahrelang – ich drücke es mal vorsichtig aus – so eine Sache. Denn so widernatürlich ich eine vaginale Geburt fand – sie war für mich alternativlos. Als meine Freundinnen begannen, Kinder auf die Welt zu bringen und nicht wenige davon Kaiserschnitt-Babys waren, wurde das Thema für mich stetig präsenter. Ich hörte mir die unterschiedlichsten (Horror-) Geschichten an und auch immer wieder die Behauptung: Ein Kaiserschnitt ist schlichtweg lukrativer und planbarer für Krankenhäuser und wird darum gern auch mal ohne akute Notwendigkeit durchgeführt.

Ein weiteres Narrativ: Wer per Sectio gebärt, gebärt „nicht richtig“. Höchstens so halb. Darf sich nicht zum Club der coolen Spontan-Geburt-Muttis zählen. Oft erwischte ich mich dabei, wie ich mir wünschte, unbedingt einmal in diese erlesene Vereinigung aufgenommen zu werden. Ein Kaiserschnitt? Niemals!

Doch wie sagt mancher Schlaumeier so gern? Erstens: Es kommt immer anders und zweitens: als man denkt. Der Club der coolen Spontan-Geburt-Muttis hat meinen Mitgliedsantrag höhnisch lachend zerrissen – und das gleich zweimal.

Zwei Geburten, zwei Kaiserschnitte

Während meiner ersten Schwangerschaft stand ein Kaiserschnitt schon recht lang vor der Geburt im Raum. Doch allen medizinischen Ratschlägen zum Trotz informierten mein Partner und ich uns über die Möglichkeit einer natürlichen Geburt in meiner speziellen Situation. Bestärkt durch meine Hebamme und angetrieben von meiner jugendlichen Anti-Sectio-Attitüde gaukelte ich mir bis zuletzt vor, dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Doch die Wahrheit ist: Als ich nach dem Blasensprung ins Krankenhaus kam und die Farbe des Fruchtwassers nur noch ein „Das wird ein Kaiserschnitt!“ zuließ, war ich erleichtert. Absolut erleichtert. Obwohl schon vorher niemand eine Spontangeburt von mir verlangte, konnte ich mir nun sicher sein: Es geht einfach nicht anders – und das ist okay. 

Was danach blieb, was eine Wunde (zum Glück nur eine körperliche, keine seelische!). Die natürlich heilen musste, mir Schmerzen bereitete und mir beim Blick in den Spiegel immer wieder zusäuselte: „Von wegen niemals Kaiserschnitt!“

Ich war entschlossen und kampfbereit. Beim zweiten Kind sollte alles anders werden. Nicht weil ich den Kaiserschnitt beim ersten als traumatisch empfunden habe, sondern weil ich das Gefühl hatte, die Erfahrung einer natürlichen Geburt unbedingt machen zu müssen.

Woher dieses kam? Von außen. Aufdiktiert von der allgemeingültigen Annahme: Nur eine vaginale Entbindung ist eine „richtige“ Entbindung. Wie dankbar wäre ich mir selbst gewesen, hätte ich diese Erkenntnis schon vor der zweiten Geburt erlangt!

Diese entwickelte sich in den ersten Stunden im Übrigen prächtig in Richtung Spontangeburt und bescherte mir die schrecklichsten Schmerzen, die ich jemals hatte. Als sich dann plötzlich Komplikationen einstellten und das Wort „Not-Kaiserschnitt“ fiel, spürte ich wieder vor allem eines: Erleichterung. Ich atmete auf und ließ es ohne Widerrede zu.

Dass ich so viele Jahre auf Kriegsfuß mit dem Kaiserschnitt stand und nun selbst zwei Kinder per Sectio zur Welt gebracht habe, ist für mich nicht nur „Ironie des Schicksals“, sondern ein wahrer Augenöffner. Denn obwohl ich so lange dachte, die Bauchgeburt sei keine echte, keine wahrhaftige Geburt, weiß ich es nun besser.

Bullshit-Bingo – Kaiserschnitt-Edition

Wie viel Bullshit einem rund um den Kaiserschnitt und seine „Spätfolgen“ erzählt wird, ist mir mittlerweile auch mehr als bewusst. Sectio-Babys seien grundsätzlich „Schreibabys“, durch fehlendes oder unzureichendes Bonding gleich nach der Entbindung ist quasi direkt der Grundstein für eine Bindungsstörung gelegt und ähnliche Schauergeschichten tragen nach wie vor zum schlechten Image des Kaiserschnitts bei.

High-Need-Kinder und geschädigte Beziehungen zwischen Mutter und Baby müssen sicherlich im Kontext des Kaiserschnitts erwähnt werden, weil beides zweifelsfrei vorkommt, doch

1. ist die Spontangeburt von beiden „Phänomenen“ nicht ausgenommen

2. liefere ich gleich zwei Beweise dafür, dass es auch ganz anders gehen kann.

Ich hätte es selbst nicht für möglich gehalten, doch nachdem schon K1 ein echtes „Einsteiger-Baby“ war, entpuppte sich auch K2 nach den ersten, etwas holperigen Wochen als absolut entspannt und genügsam.

Und was für mich noch viel wichtiger war: Obwohl ich aufgrund der Kaiserschnitte nach beiden Geburten meine Kinder erst etwa zwei Stunden nach Entbindung in die Arme schließen konnte (bei einem Standard-Kaiserschnitt ohne Komplikationen kommt es übrigens meist sofort zur „Zusammenführung“), könnten unsere Beziehungen nicht inniger sein.

Andere Bullshit-Behauptungen, die ich schon oft im Zusammenhang mit einer Sectio gehört habe:

  • „Dann klappt das aber mit dem Stillen nur ganz schwer.“
  • „Da hat sie es sich aber einfach gemacht.“
  • „Diese Entscheidung wird sie später sicher bereuen.“
  • „War sicherlich gar nicht wirklich notwendig.“

Die Liste könnte noch beliebig fortgesetzt werden. Was all diese Behauptungen mit einer Kaiserschnitt-Mutter machen, habe ich am eigenen Leib erfahren… 

Ich hatte zwei Kaiserschnitte, weil…

Schon nach der Geburt meines ersten Kindes habe ich ein seltsames Verhalten bei mir bemerkt. Immer wenn es um dieses Thema ging und ich davon berichtete, wie meine Tochter zur Welt kam, schob ich in einem Nebensatz den Grund hierfür nach – so als müsste ich mich für mein eigenes „Versagen“ rechtfertigen. (Allein schon beim Schreiben dieses Satzes möchte ich am liebsten ganz laut schreien.)

Auch die Geschichte von Kaiserschnitt Nr. 2 habe ich bereits etliche Male fast schon automatisch herunter gerattert. Nicht weil meine Gesprächspartner:innen aktiv danach gefragt hätten (DAS trauen sich tatsächlich nicht viele), sondern weil sie mich fragend angeschaut haben. Allein dieser Blick reichte aus, um meinem Gegenüber die intimsten Details zu erzählen.

Und das nur, weil die Sectio noch immer nicht gesellschaftlich anerkannt ist und (in den Augen vieler) einer medizinischen Erklärung bedarf.

Was andere kluge Frauen sagen

Ich bin froh, dass das Thema Kaiserschnitt auch auf Social Media immer wieder präsent ist und nicht länger tabuisiert wird. Auf Instagram folge ich einer Reihe von Frauen, die mich darin bestärken, dass auch ein Kaiserschnitt eine „richtige“ Geburt ist, für die ich mich keinesfalls schämen oder die ich ungewollt erklären muss.

Eine von ihnen ist Jana Heinicke, die in ihrem gleichnamigen Story-Highlight den Muttermythos, eine Geburt müsse möglichst ~ natürlich ~ ablaufen, auseinander nimmt. So sagt sie beispielsweise mit aller Deutlichkeit, dass zur Natürlichkeit eben auch der Tod gehört und viele Frauen sowie Babys schlichtweg unter der Geburt sterben würden, gäbe es keinen Kaiserschnitt und andere Methoden der modernen Medizin.

Eine andere, die mich erst vor wenigen Tagen mit ihrem Beitrag so richtig gekriegt hat, ist @mother.ink.stinct. Vanessa schreibt u.a. „Wie oft hab ich über Mütter nach Spontangeburten gehört, dass sie ‚so richtig stolz‘ auf sich sein können, während Mütter wie ich, die ihre Kinder nicht auf auf ‚natürlichem‘ Weg bekommen wollten/konnten im Perfekte-Mutter-Quartett von vornherein disqualifiziert und obendrein mit Selbstzweifeln, Schuldgefühlen & Traumata allein gelassen werden.“ Ich fühle das. Sehr.

Ich bin auf einem gutem Weg

Spontan oder per Sectio, geplant oder aus der Not heraus – eine Geburt hat viele Gesichter und keines davon ist „richtiger“ oder „falscher“ als das andere. Ich habe einige Jahre gebraucht, um dies zu verinnerlichen und selbst heute – nachdem ich zwei Kaiserschnitte hatte – erwische ich mich noch immer beim Gedanken, versagt zu haben. Das zeigt mir, wie tief manche Glaubenssätze noch immer sitzen und dass ich mindset-technisch noch lange nicht da angekommen bin, wo ich hin möchte.
Aber – und darauf kommt es mir letztlich an – ich bin auf einem gutem Weg.