Mitte Dezember letzten Jahres habe ich die Reißleine gezogen. Von einer Sekunde auf die andere war ich mir sicher: Es geht nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich hatte – falls es so etwas denn gibt – eine Art Instagram-Burnout und flüchtete regelrecht von der Plattform.
Es folgt: Eine Analyse meiner Hassliebe zu Instagram.
Ein Strudel aus Negativität
Hier ein Schminkvideo, da ein Tanz-Reel und dort ein bisschen #outfitinspo – Instagram verkauft sich nach wie vor als Plattform des schönen Scheins und gibt sich gern oberflächlich und unverbindlich. Dass die kleine Schwester von Facebook mittlerweile sowohl das eine als auch das andere nicht mehr ist, sollte uns allen klar sein.
Gerade im letzten Jahr konnte sehr schön beobachtet werden, wie der Strudel der Negativität immer mehr an Fahrt aufgenommen hat. Hasskommentare, Hetzkampagnen und beispielloses „Schulhofcliquen-Gehabe“ in der vermeintlich feministischen Bubble haben immer mehr zugenommen und tagtäglich meinen Feed umspült. Auch wenn ich selbst nie direkt davon betroffen oder gar Opfer dieser Verrohung wurde, spürte ich doch, wie mir dieses negative Grundrauschen der App mehr und mehr zusetzte.
Jedes Mal, wenn ich von einem neuen Callout mitbekam, eine weitere Schlammschlacht verfolgte, eine liebgewonnene Instagrammerin von ihrer angeschlagenen psychischen Gesundheit berichtete, brach in mir ein feiner Riss ein Stückchen weiter auf. Keine Frage: 2021 war das Jahr, in dem Instagram vom Feel-Good-Ort zum „Alles ist erlaubt“-Schlachtfeld wurde.
Im Rausch der Reaktionen
Das Paradoxe: Obwohl ich wusste, dass mir Instagram zunehmend schlecht tat und auch meine eigene mentale Gesundheit in Gefahr war, besuchte ich die App weiterhin unzählige Male am Tag. Ich konsumierte und ich produzierte Inhalte – immer auf der Suche nach dem „Rausch der Reaktionen“, dieses befriedigende Gefühl, das jedes Mal kickt, wenn du ein Like, einen Kommentar oder ein Nachricht auf deine Story bekommst.
Die Macht dieser Plattform auf meine Persönlichkeit ging so weit, dass ich im Alltag fast nur noch „in Formaten gedacht“ habe. Das heißt: Ich habe mir permanent den Kopf darüber zerbrochen, ob ich das, was ich gerade denke, tue, erlebe in Content verwandeln kann. Meine Freundin Celsy, mit der ich mich am Tag meines „Insta-Ausstiegs“ Mitte Dezember intensiv über dieses Thema unterhalten habe, fragte sich unmittelbar nach unserem Gespräch in einem ihrer Blogartikel mit Hinblick auf dieses Verhalten „Poste ich auf Instagram Dinge, die ich mache oder mache ich Dinge, um sie zu posten?“. Von ihr stammt auch die Bezeichnung „Die Verwertbarkeit des Alltags“, die ich sehr liebe und auch sehr treffend für das „Phänomen“ finde.
Der Tag, an dem nichts mehr ging
Zu sagen, dass meine Insta-Pause eine Entscheidung von jetzt auf gleich war, ist im Grunde genommen gelogen. Schon Tage – ach, was sag ich: Wochen! – zuvor merkte ich immer öfter, wie mich die schiere Flut an Inhalten regelmäßig ertrinken ließ. Ich hatte zunehmend Probleme, mich zu konzentrieren, konnte komplexe Informationen im 16:9-Format kaum noch aufnehmen und skippte irgendwann jeden Inhalt, der auch nur eine Millisekunde zu viel Aufmerksamkeit von mir verlangte. Ich war schlichtweg nicht mehr in der Lage, diese aufzubringen.
Also verabschiedete ich mich in einem kurzen Posting und deinstallierte die App von meinem Smartphone.
Was darauf folgte, waren ein paar ziemlich wilde Tage, in denen ich mir mehr als einmal wünschte, die App auf der Suche nach Zerstreuung mal eben kurz zu öffnen. Besonders deutlich wurde mir außerdem, wie stark dieses Denken in Inhalten in meinem Kopf verankert war. Ich konnte nicht mal an einer Hecke vorbei laufen, ohne instinktiv das Handy zu zücken, um eine Makroaufnahme der Beeren daran zu machen.
Es war einmal mehr Celsy, die mir attestierte: Das ist an sich gar nichts Schlimmes – so ticken wir Kreativmenschen nun einmal, das macht uns aus, das ist es, was wir eben können. Der große Haken an der Sache: Wir werfen unsere Kreativität einer US-amerikanischen Giga-Plattform vor die Füße und begeben uns in eine Abhängigkeit, wie sie im Buche steht.
Ein Teufelskreis für alle Kreativschaffenden
Um dieser zu entfliehen, fing ich während meiner Pause wieder an, vermehrt zu bloggen, Ideen zu sammeln, Gedankenfetzen zu sortieren und einfach für mich zu schreiben – teils am Laptop, jeden Abend vor dem Schlafen aber auch ganz klassisch im Tagebuch.
2022 soll das Jahr werden, in dem ich mich (wieder) unabhängiger von Instagram machen und mehr Energie in diesen Blog und meinen Newsletter stecken möchte – auch wenn mir das auf lange Sicht garantiert schwerfallen wird.
Denn das Perfide: Natürlich weiß diese App ganz genau, wie sie uns um ihren Finger wickelt und systematisch abhängig macht. Der schnelle Dopamin-Kick, das aufregende Kribbeln im Bauch, wenn ein Beitrag geteilt wird, das unbeschreibliche Gefühl, irgendwo dazu zu gehören – all diese Mechanismen triggern unser Belohnungssystem im Hirn und machen glücklich. Glücklich und süchtig.
Das ist der Grund, weswegen wir Kreative viel zu viel Zeit und Energie in eine App stecken, die uns Sichtbarkeit, Kund:innen und Reputation nur im Tausch gegen Daten und Content, Content, Content verschafft. Dass das auf Dauer nicht nur extrem anstrengend, sondern auch extrem unbefriedigend ist, wird wohl jeder Content Creator bestätigen können. Es ist schlichtweg ein Teufelskreis. Wie soll man diesem entkommen?
Meine 5 goldenen Instagram-Regeln
Während ich die App erst eine Weile lang gar nicht und dann stark reduziert geöffnet habe, habe ich mir natürlich Gedanken über meine zukünftige Nutzung gemacht. Denn mir war klar: So wie bisher darf es nicht weitergehen. Ich brauche persönliche Regeln, um mich von Instagram frei zu machen und mich wieder auf das konzentrieren zu können, was mich wirklich weiterbringt. Aus meinen Überlegungen entstanden diese fünf konkreten Punkte:
#1 regelmäßige, bewusste Pausen
Ich mag das Wort „Insta-Detox“ nicht, weil es so pseudo-trendy daher kommt und etwas völlig Normales beziehungsweise Notwendiges unnötig hyped. Trotzdem weiß ich nun, dass ich in Zukunft regelmäßig „detoxen“ werde und muss – um meiner mentalen Gesundheit willen und auch um euch mal eine kleine Pause von mir zu gönnen hihi.
#2 Instagram-„Öffnungszeiten“
Damit mein Tag nicht mit Instagram beginnt, mit Instagram endet und auch dazwischen maßgeblich von Instagram dominiert wird, möchte ich in Zukunft „Öffnungszeiten“ einführen – beispielsweise unter der Woche zwischen acht und 20 Uhr. Davor und danach bleibt die App geschlossen.
#3 weniger „second screen“
Vor allem abends ist es zur ätzenden Gewohnheit geworden, dass ich einerseits gelangweilt auf den Fernseher starre und andererseits nebenbei noch durch Instagram scrolle. Dieses „second screening“ möchte ich in Zukunft stark einschränken – beispielsweise durch die IG-Öffnungszeiten, aber auch durch viel bewusstere Mediennutzung. Das bedeutet für mich unter anderem auch, dass ich den Smartphone-Bildschirm nun häufiger gegen den des E-Book-Readers eintauschen möchte und den Fernseher von vornherein aus lasse.
#4 regelmäßige Inventur
Instagram ist ein Haifischbecken in der Gestalt einer Delfinshow. Nicht alles, was dir hier auf den ersten Blick unterhaltsam und schön erscheint, tut dir und deinem Seelenwohl auch wirklich gut. Weil das so ist, überprüfe ich in regelmäßigen Abständen, wem ich hier folge und was die geteilten Inhalte in mir auslösen. Sobald sich schlechte Gefühle beim Konsumieren breit machen, entfolge ich – rigoros. Ich habe einfach keine Kapazitäten mehr für Content, der mir nicht guttut.
#5 Zahlen ignorieren
Diesen Tipp schreibe ich aus der Perspektive einer Content-Schaffenden, die nicht darauf angewiesen ist, mit Instagram Geld zu verdienen! Wäre die App ein wichtiges Standbein meiner Selbstständigkeit, würde ich ihn vermutlich selbst nicht befolgen.
Mein großes Vorhaben für 2022 in Zusammenhang mit dieser App ist es, mich endlich, endlich freizumachen von Followerzahlen, Reichweite, Algorithmen und diversen Mythen. Das ist leichter gesagt als getan, I know – doch man kann es ja mal probieren…
Ganz ohne Instagram geht es nicht
So sehr ich es mir wünschen würde, doch ganz ohne Instagram funktioniert es leider für mich auch nicht. Auch wenn ich hierüber nur äußerst selten Kund:innenaufträge generiere, ist die Plattform für mich doch nach wie vor ein wichtiges Werkzeug für Sichtbarkeit und Marketing. Darauf kann und möchte ich nicht verzichten.
Ich möchte jedoch zukünftig genau abwägen, wie viel Aufwand sich tatsächlich für mich und meine Vorhaben lohnt und was letztlich für die Katz‘ ist. Ganz wichtig hierbei: Ich definiere mich nicht länger über diese App und irgendwelche Insights, sondern stütze mich in Zukunft wieder mehr auf meine eigenen Kanäle – denn hier bin ich diejenige, die die Spielregeln macht.
Eine erneute Insta-Pause ist nicht bloß eine Option, sondern lediglich eine Frage der Zeit.
Fotos: Goldine Fotografie