Mitte der 90er bekam ich mein erstes Tagebuch. Auf dem Cover war ein Bild der Spice Girls und das Schloss konnte man mit diesem platten, silbernen Schlüsselchen öffnen, das in diesem Jahrzehnt auch zu jeder Spardose mitgeliefert wurde – Sicherheits- und Geheimhaltungsgarantie also gleich Null.
Trotzdem fing ich voller Begeisterung an, meine Erlebnisse darin festzuhalten – ganz klassisch mit „Liebes Tagebuch“-Anrede, so wie sich das für eine Siebenjährige eben gehörte! Ich berichtete von Spielplatzbesuchen, von Übernachtungen bei meiner Freundin und fiesen Aktionen meines großen Bruders. Belangloses Zeug, das mich damals jedoch schwer beschäftigte.
Heute, 15 Jahre später, schreibe ich wieder Tagebuch. Ohne Spice Girls und auch ohne Schloss.
Ich brauchte diese Zeit vermutlich, um zu erkennen, wie gut mir das tägliche Schreiben und Festhalten meiner Gedanken wirklich tut. Denn anders als damals erzähle ich meinem Tagebuch heute nicht mehr unbedingt jede Banalität meines Alltags, sondern wage den deep dive in meine Gedankenwelt. Das ist manchmal unangenehm, manchmal sogar schmerzhaft, aber meistens wirklich befreiend und heilend.
Es folgen: 11 Gründe, die dafür sprechen, Tagebuch zu führen.
Grund #1: Du hältst deine Erinnerungen fest
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Natürlich kannst du ein Tagebuch führen, um darin Erlebnisse, Situationen, Gespräche und mehr festzuhalten, an die du dich später wieder erinnern möchtest. Auch ich schreibe hin und wieder „ganz platt“ auf, was ich heute erlebt habe, wen ich getroffen habe oder worüber ich mich mit dieser Person unterhalten habe.
Ein Tagebuch-Eintrag muss nicht immer tiefgründig und mit fünf Meta-Ebenen versehen sein – eigentlich muss er das nie! Wenn du dein Journal ganz klassisch zum Festhalten von Erinnerungen nutzt, ist das mehr als in Ordnung.
Grund #2: Du hängst zur Abwechslung mal nicht am Smartphone
Für mich ist Tagebuch schreiben inzwischen eine echte Wohltat, die ich unter Selfcare verbuche – denn ich muss dafür nicht mein Handy in die Hand nehmen. Spätestens seit meiner Instagram-Pause Ende letzten Jahres weiß ich, wie abhängig ich von diesem Gerät bin und wie schlecht es mir tut, ständig online zu sein.
Ein Tagebuch ist nicht nur eine willkommene Abwechslung zu Insta, Youtube und Co., sondern in gewissen Situationen auch eine echte Alternative. Nicht jeder Gedanke, der uns durch den Kopf schießt, muss schließlich direkt ins Internet posaunt werden.
Grund #3: Du etablierst eine gute Routine
Ich schreibe in der Regel immer abends vor dem Schlafen Tagebuch – zum einen, weil ich dann den Tag gut resümieren kann und zum anderen, weil ich dann schlichtweg die Ruhe habe, da beide Kinder schlafen. Ich kann mir also ganz sicher sein, dass ich diese paar Minuten nur für mich habe und auch wirklich genießen kann. Im Social Media-Sprech wäre jetzt wohl die Rede von „Quality-“ oder „Me-Time“.
Im Laufe der Zeit wurde das Journaling nicht nur zur Routine für mich (wenn ich mal nicht schreibe, weil ich beispielsweise zu müde bin, dann fühlt es sich direkt ungewohnt an), sondern auch zu einem regelrechten Ritual. An normalen Tagen schreibe ich exakt zwei Seiten voll; stets mit dem gleichen Stift. Ich lasse immer eine Zeile Abstand und versuche, möglichst ordentlich zu schreiben. Diese „Ritualisierung“ hilft mir dabei, kurz vorm Schlafen zur Ruhe zu kommen und gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Gerade in Zeiten, in denen sehr viel los ist, hat sich dieses routinierte Ritual als wichtiger Anker für mich erwiesen.
Grund #4: Du lässt deine Gedanken ohne Filter und Bewertung schweifen
Wir alle kennen vermutlich dieses lästige Gedankenkarussell, das scheinbar nie anhält und sich immer schneller dreht, je mehr wir versuchen, zu bremsen. Meine Strategie, um dennoch etwas Ruhe und Struktur in den Kopf zu bringen ist – du kannst es dir sicher denken – Tagebuch schreiben.
Ungefiltert, ungeschönt, ohne Zensur, ohne Bewertung – je größer das Knäuel im Kopf ist, desto „roher“ sind die Zeilen in meinem Tagebuch. Ich lasse einfach alles raus, was raus muss – egal was, egal wie. Nicht immer entspricht das meinen Ansprüchen an das geschriebene Wort (Ich bin halt immer noch Autorin und Texterin…), doch wichtig ist letztlich nur, dass sich das Gefühl von Erleichterung in mir breit macht.
Gedanken sind manchmal wie (unnötiger) Ballast. Indem wir sie „auslagern“, um später bei Bedarf darauf zurückzugreifen, können wir unsere Energie wieder viel besser für die Bewältigung anderer „Baustellen“ nutzen.
Grund #5: Es gibt keine Regeln
Als „Tagebuch schreiben“ in sozialen Medien plötzlich als „Journaling“ bezeichnet wurde, bekam es einen fancy Anstrich, der nichts mehr mit Spice Girls in Billo-Schlössern zu tun hatte. Das tägliche Festhalten von Gedanken, Erlebnissen und den vermeintlichen Kleinigkeiten des Alltags wurde plötzlich ziemlich en vogue- und damit einhergehend in eine Reihe von „Regeln“ gepresst.
„Schreibe jeden Tag drei Dinge auf, für die du dankbar bist.“
„Schreibe fünf Minuten lang alles auf, was dir durch den Kopf geht.“
„Mache einen Handstand und halt den Stift zum Schreiben mit dem Fuß fest.“
Versteh mich nicht falsch: Ich finde Journale wie „Ein guter Tag“ oder „Das 6-Minuten-Tagebuch“ (Affiliate-Links) durchaus gelungen – sie sind aber schlichtweg nicht notwendig. Es gibt keine Regeln – egal ob du es „Journaling“ oder „Tagebuch schreiben“ nennen willst. Und wenn es doch welche gibt, dann legst du allein sie fest. Wenn du begriffen hast, dass es hierbei weder „richtig“ noch „falsch“ gibt, wird dir das Schreiben auch garantiert leichter fallen.
Grund #6: Du reflektierst dein eigenes Tun und Denken
Einfach schreiben, ohne zu wissen, wohin die „Reise“ geht, ist etwas, was mir unheimlich gut tut. Trotzdem merke ich immer wieder, dass sich die meisten meiner Tagebuch-Einträge um aktuelle Situationen drehen und das, was ich in ihnen tue oder denke. Kein Wunder, denn es tut mir einfach unfassbar gut, meinen Alltag auf diese Weise zu verarbeiten. Hierbei geht es keinesfalls darum, irgendetwas oder irgendwen zu bewerten. Dennoch beginne ich meist von ganz allein, zu reflektieren, mein eigenes Handeln zu hinterfragen und Gedanken endlich mal bis zum Schluss zu denken.
Grund #7: Du tust etwas für deine Gesundheit
Es gibt zahlreiche Studien, die belegen: Tagebuch schreiben ist gesund.
Journaling baut Stress und Kummer ab, senkt den Blutdruck und stärkt sogar das Immunsystem. Außerdem wird dem Tagebuch eine gewisse selbsttherapeutische Wirkung zugeschrieben. Diese kann natürlich keinesfalls eine echte Therapie ersetzen. Doch in manchen Situationen ist es sicherlich ein guter Anfang, sich erst einmal alles von der Seele zu schreiben – im wahrsten Sinne des Wortes.
Grund #8: Du entwickelst neue Ideen
Beim Durchblättern meines Tagebuches muss ich regelmäßig schmunzeln, denn immer wieder stolpere ich auf den Seiten über einzelne Wörter, die ich schwungvoll umkringelt habe, Satzfragmente und Grobgliederungen für Blogbeiträge (auch dieser hier ist quasi in meinem Tagebuch entstanden).
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dieses Buch für mich eine kreative Spielwiese geworden ist, auf der sich meine Ideen in alle Richtungen entfalten können. Manche von ihnen lasse ich schon nach kurzer Zeit wieder fallen oder einfach für sich stehen, andere verfolge ich weiter, um zu sehen, was aus ihnen werden könnte.
Grund #9: Du „trainierst“ deine Resilienz
Resilienz – also die psychische Widerstandskraft – ist gerade in den letzten zwei (Pandemie-) Jahren ein kostbares Gut geworden. Jede:r von uns ist unterschiedlich resilient – die eine mehr, der andere weniger. Aber: Wir alle können unsere Resilienz trainieren – beispielsweise, indem wir Tagebuch führen.
Das Aufschreiben, Reflektieren, Auswerten und Abschließen von Erlebnissen, Gedankengängen, Ängsten und mehr ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, unsere psychische Widerstandskraft zu stärken. Natürlich ist Journaling kein Wundermittel gegen diese Pandemie und andere Krisen, doch vielleicht hilft es dir ja, zukünftig besser mit all den Höhen und Tiefen unserer Zeit klar zu kommen.
Grund #10: Du gibst deinen Emotionen Raum zur Entfaltung
Auf Instagram wird immer wieder gern darauf hingewiesen, dass alle Gefühle ihre Daseinsberechtigung haben. Doch ist das in der „realen Welt“ auch wirklich so? Ich ertappe mich regelmäßig dabei, wie ich gewisse Emotionen runter schlucke, um möglichst professionell, höflich, respektvoll etc. zu wirken. Dass das auf Dauer nicht gut beziehungsweise gesund ist, ist mir durchaus bewusst.
Darum habe ich mein Tagebuch zu dem „Raum“ gemacht, in dem gefühlstechnisch absolut alles erlaubt ist – und ja: hin und wieder bin ich beim Schreiben ungerecht, selbstgefällig, kompromisslos, …
Grund #11: Du hast einen Grund, dir ein schickes Notizbuch zu kaufen
Falls du bis hier hin noch immer nicht vom Tagebuch schreiben überzeugt bist, kommt nun der ultimative Grund, der stark dafür spricht: Du kannst dir ohne schlechtes Gewissen ein richtig schickes Notizbuch kaufen… Hehe.