Warum mir eine imaginäre Seniorin im Katzenpullover Angst macht

Heute möchte ich euch Renate vorstellen. Renate strickt gern, so wie ich. Doch damit hört die Liste unserer Gemeinsamkeiten auch schon wieder auf. Renate ist nicht etwa meine Oma oder die liebe, leicht kauzige Nachbarin von gegenüber. Sie ist meine innere Schreibkritikerin, die sich in unregelmäßigen Abständen in meinem Kopf zu Wort meldet und mir ungefragt die verschiedensten Horrorszenarien meinen Roman betreffend um die Ohren knallt.

Renate und ich kennen uns streng genommen schon sehr lang. So lang ich schreibe, wenn man so will. Doch erst seit Kurzem habe ich ihr, inspiriert durch meine Autorinnenkollegin Lotta Frei, einen Namen und damit auch irgendwie ein Gesicht gegeben. Renate nörgelt gern. Sie macht sich einen Spaß daraus, mit die wildesten worst case-scenarios im Kopf zu platzieren und freut sich, wenn ich vor Unsicherheit ins Straucheln gerate. Ziemlich unsympathisch, die Gute, oder?

Zu sagen, dass Renate dafür sorgt, dass sich Selbstzweifel in mir breit machen, wäre zu einfach formuliert. Renate weckt Ängste in mir. Ängste ganz unterschiedlicher Natur, die ich zwar nicht beiseiteschieben, aber eben auch nicht von mir Besitz ergreifen lassen will.

Denn: Wohin würden wir denn bitte kommen, wenn eine imaginäre Seniorin mit Hang zu schrägen Katzenpullovern dafür sorgt, dass ich aufhöre, meinen Traum vom eigenen Roman zu realisieren?

Doch weil ich meine eigenen Ängste – berechtigt oder als Resultat irgendwelcher Hirngespinste – eben nicht kommentarlos unter den Teppich kehren möchte (und im Übrigen auch gar nicht kann!), widme ich ihnen Raum in Form dieses Textes.

100 Arten, einen Roman zu versauen

Da ist die Angst, etwas zu schreiben, was es schon gibt. Eine Geschichte zu konstruieren, die längst ein anderer Mensch erfunden hat. Mich dem Vorwurf stellen zu müssen, nicht einfallsreich genug zu sein. Vielleicht sogar als Plagiatorin bezeichnet zu werden.

Da ist die Angst, zu klischeehaft und nicht originell zu schreiben. Klassische Rollenbilder (unbeabsichtigt) zu bedienen und am Ende das zu schreiben, was ich selbst in Büchern als viel zu stereotyp empfinde.

Da ist die Angst, zwar Vielfalt wertschätzend schreiben zu wollen, aber es am Ende doch nicht zu schaffen. Menschen vor den Kopf zu stoßen. Mich über andere lächerlich zu machen, obwohl das doch gar nicht meine Absicht war.

Da ist die Angst, nicht gut genug zu sein. Dass Leute mein Buch nur aus Nettigkeit lesen und irgendwann der Tag kommt, an dem die erste vernichtende Rezension eintrudelt, die mich in einen Strudel aus Selbstzweifeln und -mitleid zieht.

Da ist die Angst, handwerkliche Fehler zu machen. Weil ich eben kein literarisches Schreiben studiert habe, nicht einmal einen entsprechenden Ratgeber, sondern höchstens ein paar Blogbeiträge gelesen habe.

Da ist die Angst, zu banal zu sein. Eben keinen vielschichten Thriller, keine pointierte Gesellschaftskritik und keinen Historienroman mit spannenden Hintergrundinfos zu schreiben, sondern eben doch nur eine Liebesgeschichte, die häppchenweise und mit ein bisschen mehr „Knickiknacki“ auch im Groschenroman-Regal stehen könnte.

Da ist die Angst, Ablehnung zu erfahren. Zu hören oder zu lesen, dass das, was ich da schreiben will, keinen Roman wert ist. Oder dass das Lesen des fertigen Romans Verschwendung von Lebenszeit war.

Zusammen ist man weniger allein…

Warum ich euch hier von Renate und all meinen (teils wirklich unberechtigten) Ängsten berichte? Weil ich davon überzeugt bin, nicht allein zu sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass unter euch Lesenden jetzt ein paar dabei sind, die beim Überfliegen meiner Zeilen dankbar lächelnd genickt haben und sich dachten: „Zum Glück geht es nicht nur mir so!“ Die sich nun weniger allein fühlen und wissen, dass auch andere hadern, zweifeln, ängstlich sind – auch und gerade wenn es dafür keinen Grund gibt.

Zweifel gehören wohl leider dazu

Ich gebe zu: Ich mag Renate nicht sonderlich. Ich finde ihren Klamottengeschmack grässlich und finde, sie trägt immer ein bisschen zu viel Parfüm auf, wovon ich schnell Kopfschmerzen bekomme.

Trotzdem bin ich froh, dass es sie gibt. Dass sie sich in unregelmäßigen Abständen in meinem Kopf zu Wort meldet und mir ungefragt die verschiedensten Horrorszenarien meinen Roman betreffend um die Ohren knallt.

Nicht weil ich da so drauf stehen würde und jubele, wenn sich eine neue Unsicherheit zu den drölfzig anderen gesellt. Sondern weil es mich daran erinnert, dass Hadern und Straucheln völlig normal sind und zu so einem Prozess wie dem Schreiben eines Romans dazu gehört.

Meine Strategie: ganz langsam einen Schritt vor den anderen setzen

Was mir hilft, damit klar zu kommen? Einen minikleinen Schritt vor den anderen setzen und dabei in den Hintergrund stellen, wie riesengroß (und beängstigend) dieses Projekt ist, dem ich mich da stelle.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mich die Gesamtheit all der Aufgaben, Herausforderungen, offenen Fragen und möglichen Stolpersteine hoffnungslos überfordern und regelrecht lähmen. Ich verfalle ich Schockstarre und bekomme keinen einzigen klaren Gedanken – geschweige denn einen anständigen Satz – zustande.

Um also nicht wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen, breche ich meine Ziele runter. Denke nicht an das große Endresultat – meinen fertigen Roman im Bücherregal stehen zu sehen – sondern an das nächste Etappenziel.

Um dieses zu erreichen, arbeite ich jeden Tag eine Stunde (+/-) am Roman. Das mag nicht sonderlich viel klingen und ist es wohl in den Augen vieler auch nicht. Doch für mich ist es perfekt. Seit ich diese abendliche Einheit in meinen Alltag etabliert habe, bin ich ein großes Stück weitergekommen – und schaffe es dabei weitestgehend, Renate und ihre Einwände im Zaum zu halten.

Hin und wieder schleicht sich natürlich trotzdem eine meiner Ängste von hinten an und versucht heimtückisch, mich zu überrumpeln. Wer bin ich, dass ich frei davon wäre?!

Doch irgendetwas in mir drin gibt mir das Vertrauen, dass alles gut wird. Ich bin kein Fan von „Du musst dich nur dolle genug anstrengen, dann schaffst du alles!“ – denn das ist viel zu kurz gedacht.
Aber ich bin Fan von mir selbst und weiß schlicht und ergreifend: Ich kann diese Welt erst dann in Frieden verlassen, wenn ich diesen fucking Roman geschrieben habe! 😀

Also Renate, reiß dich mal bitte ein bisschen zusammen und strick‘ nen Katzenpullover anstatt mir auf die Nerven zu gehen!